Hier wohnte … #65

… eine Müllerin

Wenn gegen Ende des Krieges das damals seltene Geräusch der Telefonklingel durch die Mühle schallte, ahnte die 20-jährige Eva Herold schon, wer am anderen Ende der Leitung war. Oft genug behielt sie recht und Oberschwester Martha war am Apparat. Sie sagte dann nur „Evchen komm“ und die junge Frau setzte sich schnell aufs Fahrrad, um von Bertelsdorf in die Stadt zu fahren. Denn dann lag wieder ein schwer verwundeter Soldat im Sterben.

Das Lazarett befand sich im Coburger Hofbräusaal auf dem ehemaligen Kaufhofgelände. Viele Stunden wachte Eva Herold hier als Sterbebegleiterin an den Betten der Soldaten, tröstete mit Worten oder einem liebevollen Händedruck und half den überwiegend jungen Männern auf diese Weise, ihre letzte Reise nicht alleine antreten zu müssen. Zurück in Bertelsdorf wartete dann wieder die Arbeit einer Müllerin auf sie.

Es erscheint ungewöhnlich, dass sie 1943 ihre Gesellenprüfung in einem Berufsfeld ablegte, in dem das Schleppen von unhandlichen Getreidesäcken und das Umstecken von tonnenschweren Mühlsteinen zur Tagesordnung gehörte. Jedoch, die meisten Männer mussten ihren Kriegsdienst leisten und viele sind danach nicht in die Heimat zurückgekehrt. Den Frauen blieb oft keine Wahl, diese schweren Arbeiten zu erledigen, wollten sie das Familienerbe bewahren. Als politisch „Unbelastete“ erhielt Eva Herold Ende 1945 sogar die Erlaubnis zur vorgezogenen Meisterprüfung. Das war notwendig geworden.

Als Treuhänderin verwaltete sie die elterliche Mühle nur vorübergehend, denn ihr Vater Walter Herold war zum damaligen Zeitpunkt noch nicht entnazifiziert und erhielt deswegen von den Besatzungsmächten keine Erlaubnis, den Betrieb zu führen. Doch die Arbeit war hart und lohnte sich bald nicht mehr. Die Bertelsdorfer Mühlräder stellten 1956 ihre Arbeit ein. Nicht jedoch das eiserne Zuppingerwasserrad und die Francisturbine aus dem Jahr 1950. Die jetzige Besitzerin Nicole Steffen-Rohrbeck zieht nicht ohne Stolz das Schott der umgeleiteten Lauter nach oben, um das schwere Wasserrad scheinbar mühelos in Gang zu setzen. Dass sie das darf, liegt an dem Wasserrecht, welches die Eigentümer der Bertelsdorfer Mühle besitzen.

Wird nach heutigem Recht die Wasserkraft, wie auch immer einige Jahre nicht mehr genutzt, erlischt es für immer und fällt an die Gemeinde zurück. Deswegen läuft die Turbine bis heute und erwirtschaftet dabei nachhaltigen Strom aus Wasserkraft. Bemerkenswert.

Bis heute ist die Mühle ein Ort der Arbeit. So idyllisch, wie sie hier am vorbeirauschenden Flüsschen liegt, wo im hinteren Teil des riesigen Gartens vier Schafe das Gras im Zaum halten, es sind im Alltag viele Handgriffe zu tun. Bei Hochwasser muss das Wehr geöffnet werden und täglich sieht die Hausherrin im Rechen nach, was wieder alles angeschwemmt wurde. Auch im Inneren der Mühle hat sich einiges getan.

Seit zwei Jahren renoviert die Familie das alte Gemäuer mit viel Liebe. Die fertig gestellten Wohnräume strahlen eine heimelige Atmosphäre aus. Das liegt auch an dem aufwändigen Lehmputz, der zwischen das Fachwerk aufgetragen wurde und den aufbereiteten altehrwürdigen Dielenböden, die nun wieder in neuem Glanz erstrahlen. Alles mit Hilfe heimischer Handwerker, wie Nikola Steffen-Rohrbeck betont. Eine besondere Rarität hat der gewaltige Dachboden aufzuweisen, der früher als Darre diente.

An einem Querbalken hängt bis heute eine mächtige Antenne. Als Funk- oder gar Fernsehantenne ist sie zu groß. Vielleicht Teil einer Abhöreinrichtung aus den Zeiten des Kalten Kriegs? Dazu passen würde, dass die Bundesrepublik Deutschland einst ein Betretungsrecht in die Mühle hatte. Das hat die Eigentümerin zwar jetzt löschen lassen, aber die spannende Frage nach der einstigen Nutzung der Anlage bleibt. Klar jedenfalls ist, dass hier nach der Müllermeisterin, Apothekerin und Volkskundlerin Eva Herold wieder eine starke Frau in der Bertelsdorfer Mühle wohnt,die den Wert des Anwesens kennt, schätzt und erhält und die noch einige Ideen hat, wie dieses Denkmal wieder mehr in das Bewusstsein der Coburger gelangt. Aber das ist eine andere Geschichte.

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